In Leipzig sind die Löwen los

"700.000€ für ein Logo!!111!!!" Was war das für ein Aufschrei, als die neue Website der Stadt Leipzig samt neuer Schrift und neuem Logo das Licht der digitalen Welt erblickte. Natürlich kostete das Logo keine 700.000€, aber bei der Leipziger Volkszeitung war man offensichtlich um eine reißerische Überschrift bemüht, die Aufsehen erregt und viele Leute dazu bewegt, dem Link auf den zugehörigen Artikel zu folgen. Letzteres hat offenkundig nur eingeschränkt funktioniert, denn sonst hätten die Beteiligten mitbekommen, was ohnehin jedem nach kurzem Nachdenken evident gewesen wäre: Bei einem Relaunch einer Website von 2013 mit einem Design von 2005 auf aktuelle Maßstäbe fallen Kosten an – und die meisten betreffen nicht das Logo.

Auf Instagram war in den Kommentaren zu sehen, wie die LVZ selbst versuchte, die Missinterpretation wieder einzufangen. Aber der Erfolg blieb aus. Längst hatten mangelnde Medienkompetenz, Lesefaulheit und bei einigen schlicht das Fehlen intellektueller Redlichkeit die Diskurshoheit übernommen: Wozu in der Sache argumentieren, wenn es auch einfach geht: "700.000€ für einen gemalten Löwen! SKANDAL!!!1!!!111"

Nun lässt sich ganz sachlich diskutieren, ob es die richtige Zeit, der passende Projektumfang und ein gelungener Relaunch war, was wir zu sehen bekamen. Es sind legitime Fragen: Hätte das Geld besser ausgegeben werden können? Wie kommt es eigentlich zu einer solchen Kostensteigerung? Hätte das nicht verhindert werden können?

Wer in IT-Projekten arbeitet, kennt vielleicht den Rat an Projektmanager: "Wenn die Entwickler dir sagen, dass etwas sechs Stunden brauche, kannst du das auch einfach mal glauben. Du musst nicht täglich nachfragen!" Projektrisiken und Projektverzug sind seit Jahrzehnten ein Dauerthema im IT-Umfeld und bis heute weitgehend ungelöst. Sie gehören fast immer dazu. Daher war ich überhaupt nicht überrascht, dass die Kosten stiegen. (In der Tat verwundert mich fast mehr, dass der Zeitplan eingehalten wurde.) Wer das kritisieren möchte, zeige, dass er es besser kann. Oder zeige wenigstens Beispiele, in denen es besser lief. Und nein: Wordpress aufsetzen ist mit einem solchen Projekt nicht vergleichbar.

Schauen wir die Gesamtkosten an: Zunächst habe ich bei keinem der Kritiker eine Information zur Aufschlüsselung der Kosten gesehen – vermutlich weil sie niemand der am öffentlichen Diskurs Beteiligten kennt. Es kennt scheinbar auch niemand Umfang und Anforderungen, auf deren Grundlage die Kosten bewertet werden können. Wer mit IT-Projekten keine Erfahrung hat und auch nicht sonderlich viel Zeit zum Nachdenken über die Anforderungen investiert, übersieht leicht die Herausforderungen eines solchen Projekts. Unrealistisch wirken jedenfalls weder die ursprünglich veranschlagten 400.000€ noch die am Ende herausgekommenen 700.000€. Hat man einen billigen Dienstleister ausgewählt und dann höhere Kosten verursacht, wie manche unken? Der Dienstleister bei der Umsetzung – die Berliner Firma DMK – ist in dem Bereich jedenfalls erfahren und kompetent. Hohe Anfangskosten bei der initialen Umsetzung sprechen auch nicht für Unwirtschaftlichkeit. Zum Vergleich: Geräte der Firma Apple sind in der Anschaffung deutlich teurer als handelsübliche Notebook mit Windows, aber über die gesamte Lebensdauer und unter Einbeziehung von Wartungskosten betrachtet, kehrt sich das Verhältnis um. Nicht anders ist es bei solchen IT-Projekten wie der Website der Stadt Leipzig. Wäre es dennoch günstiger gegangen? Vielleicht. Aber wer das auf Basis der öffentlich bekannten Informationen glaubt beurteilen zu können, ist ein Scharlatan.

Auch über die Notwendigkeit des Relaunches lässt sich natürlich streiten. Dabei muss aber auch der bisherige Stand berücksichtigt werden. Der neue Auftritt ist modern und auf zeitgemäße Devices ausgerichtet. Soll die Stadt sich wirklich noch viele weitere Jahre in einem alten Look für alte Desktop-PCs präsentieren? Bin ich der Einzige, der sich auf der alten Seite wirklich gar nicht mehr zurechtfand? Eine Stadt, die international wahr- und ernstgenommen werden möchte, muss auch im Internet entsprechend auftreten: übersichtlich, international, zeitgemäß und mobil.

Nun hörte ich mehrfach: Aber vielleicht ginge es etwas kleiner. Ja, vielleicht! Aber was ist denn der konkrete Gegenvorschlag? Weitere zehn Jahre mit der Website und dem Design von 2013? Ein kleinerer Relaunch? Was hätte der gekostet? Hätten wir dann am Ende "nur" wenige 100.000€ für eine Überbrückung gezahlt, um in Kürze wieder zu überbrücken und so weiter? Wäre das wirklich besser und wirtschaftlicher? Wer kritisiert muss sich auch festlegen und sagen, was ihm oder ihr denn als Alternative vorschwebt.

Kommen wir zu der Frage nach dem neuen Logo – einmal unabhängig von den uns unbekannten Kosten für selbiges. Sicher ist: es ist eine deutliche Änderung gegenüber dem bisher verwendeten Stadtwappen. Hoffentlich allseits bekannt ist, dass es das Stadtwappen nicht ersetzt. Nun ließen sich Symbolik und Funktionalität diskutieren, man könnte über das Für und Wieder der Verwendung der Stadtfarben auf der Website streiten. Was man sich sparen kann, das sind die "das mache ich mit ChatGPT in fünf Minuten besser"-Kommentare der Social-Media-Empörungswelle, die zum Erkenntnisgewinn soviel beitragen wie die Meinungen zur Umsetzung eines IT-Projekts von Leuten, deren Expertise kaum über die Pflege einer Wordpress-Instanz hinausreicht.

Weder zu Angemessenheit der Kosten und Notwendigkeit des Relaunches noch zur Qualität des Logos habe ich eine abgeschlossene Meinung. Wozu ich aber eine klare Meinung habe, das ist die künstliche Aufregung, die dank N-TV, NIUS und Appolo News auch überregional stattfindet. Da wird – überwiegend bewusst! – Desinformation genutzt, um sich zu empören und Reichweite zu generieren. Da regen sich Leute über die Kosten für ein Logo auf, ohne die Größenordnung dieser Kosten (für das Logo!) auch nur grob abschätzen zu können. All das zeigt: den Protagonisten dieser Aufregung geht es in keinem Moment um unsere Stadt. Es geht ihnen ausschließlich um sich selbst. Ihre Sorgen drehen sich nicht um die Finanzen der Stadt Leipzig, sondern um Aufmerksamkeit für sich selbst.

Alexander Gunkel

Alexander Gunkel

Leipzig