Nach solchen Niederlagen, wie sie unsere liberale Partei in den vergangenen Wochen erleiden musste, ist eine erneute Kursbestimmung, ja möglicherweise eine Kurskorrektur wohl unumgänglich. Nun mag viel den besonderen Umständen in den jeweiligen Bundesländern geschuldet sein. Vieles jedoch liegt meines Erachtens an der Bundespolitik und dem zuweilen recht ambivalenten Zustand der Partei insgesamt. Dazu möchte ich ein paar Gedanken artikulieren und mich fragen, was wir Freie Demokraten zukünftig anders machen, wo wir unsere Politik neu und vielleicht anders ausrichten müssen.
In jedem Fall gilt für uns als Erben Walter Scheels: Es geht darum, das Richtige zu tun und es populär zu machen. Es kann keine Option sein, die Politik in der Bundesregierung an wahltaktischen Überlegungen auszurichten. Christian Lindner hatte nach der NRW-Wahl betont, das Wohl des Landes stehe über dem Wohl der FDP. Das ist richtig und wird auch innerhalb der FDP nicht bezweifelt. Im Gegenteil denke ich, dass gerade Regierungsentscheidungen, die dem Wohl des Landes entgegen standen, auch die FDP in diese Misere führten.
Ich sehe drei Herausforderungen:
- Wir müssen ein breites liberales Profil entwickeln, das klar marktwirtschaftlich orientiert bleibt in einem Sinne, der auf Fairness achtet.
- Wir müssen viel stärker darauf achten, zusammen zu kämpfen und uns gegenseitig zu untersützen.
- Unsere Haltung muss durch Liberalität und Offenheit geprägt sein.
Liberalismus und Marktwirtschaft
An prominenter Stelle steht die Entscheidung, angesichts steigender Preise liberale, marktwirtschaftliche Grundsätze über Bord zu werfen und mit dem Tankrabatt einen lustigen Reigen des Beschenkens anzustoßen, der einerseits politisch wie ökonomisch falsch war und andererseits die FDP massiv Unterstützung und Vertrauen kostete.
Völlig zu Recht wehrt sich die Mehrheit der Liberalen gegen eine Verengung auf die wirtschaftsliberale Ausrichtung, wie sie die FDP um 2010 herum viel zu stark prägte. Seither hat sich die Partei programmatisch weiterentwickelt und verbreitert und bringt dies über Bettina Stark-Watzinger und Marko Buschmann eindrucksvoll auch im Kabinett ein. Junge Abgeordnete wie Ria Schröder, Konstantin Kuhle und Jens Teutrine unterfüttern das mit Glaubwürdigkeit, wenngleich deren Bekanntheitsgrad noch ausbaufähig ist. Diese Entwicklung ist richtig; sie hat uns sicherlich nicht geschadet. Es ist auch nicht die Schuld dieser Entwicklung, dass uns in der Wahrnehmung vieler Menschen das marktwirtschaftliche Profil abhanden kam.
Eine Rückschau: Wir waren im Bundestagswahlkampf angetreten mit einem klar marktwirtschaftlichen Programm, das sich durch viele Bereiche politischen Handelns zog. Denn nicht nur Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik waren bei uns programmatisch klar daran ausgerichtet, sondern beispielsweise auch die Klimapolitik. Das schadete nicht im Wahlkampf, sondern bot uns ganz im Gegenteil ein erkennbares und gut kommunizierbares Profil im Vergleich zu anderen Parteien. Leider ist dieses Profil in letzter Zeit unklarer geworden.
Mit dem Tankrabatt signalisierte der Finanzminister, dass er im entscheidenden Moment Angst vor der eigenen Courage bekommt und dem Markt misstraut. Gerade in der Klimapolitik war doch unsere Strategie, marktwirtschaftliche Instrumente zu nutzen. Wer dann aber die Lenkungswirkung des Preismechanismus dermaßen unterminiert, sobald es ernst wird, kann dies kaum mehr glaubhaft vertreten. Und dies bringt mehrere Probleme mit sich:
- Wie wollen wir zukünftig liberale Klimapolitik vertreten? Während des Wahlkpampfes anerkannten viele Menschen, dass es sich um eine überzeugende, wenigstens bedenkenswerte Programmatik handelte. Bezweifelt wurde lediglich die Ernsthaftigkeit der Liberalen, diese im Zweifel auch bei steigenden Preisen durchzuhalten. Diese Zweifel wurden grandios bestätigt.
- Was sagt das über unser Beharren in der Wohnungspolitik, wenn wir das, was wir Mieterinnen und Mietern sagen, bei Autofahrern für nicht zumutbar halten?
- Allgemeiner: Marktwirtschaft verliert an Kontur, Legitimität und Akzeptanz, wenn sie mit Lobbyismus und Einzelinteressen vermengt wird, statt sich an prozeduraler Fairness zu orientieren.
Auch das Verkehrsministerium gab in letzter Zeit keine gute Figur ab. Sicherlich handelt es sich um ein schwieriges Ressort, in dem es viele Altlasten aus den jüngeren Vergangenheit zu bewältigen gilt. Die Klimabilanz war in den letzten Jahren verheerend und dies ließe sich von niemandem innerhalb so kurzer Zeit grundlegend ändern. Außerdem ist das Thema Verkehr ideologisch extrem stark besetzt. Um so wichtiger wäre eine offene und ehrliche Kommunikation. Aber genau dies scheint dem Minister nicht zu gelingen.
Im Falle einer angeblichen Anhebung der Subventionierung von E-Autos mag sich mancher auf die teils unprofessionelle Arbeit einiger Medienvertreter berufen. Immerhin wurden ohne weiteren Beleg angebliche Positionen des Ministers verbreitet, von denen bekannt war, dass sie (1) der Programmatik der FDP und früheren Äußerungen Volker Wissings widersprechen und (2) nicht vom Minister selbst kamen, und zu denen (3) kein aktuelles Statement des Ministers selbst eingeholt wurde. Man könnte dies als klare Desinformation brandmarken. Dass Kampagnen gegen den Verkehrsminister unter Heranziehung von Desinformationen möglich werden, das hat aber auch mit der mangelnden politischen Linie zu tun. Andernfalls wären solche Kampagnen weniger glaubhaft. Es hilft daher nichts, die Pressearbeit zu beklagen. Schließlich gab es auch hier Punkte, die Zweifel an der politischen Stringenz provozierten: Dass eine von Robert Habeck vorgeschlagene Abschaffung einer Subvention von Hybridfahrzeugen unter Verweis auf den Koalitionsvertrag zurückgewiesen wird, erstaunte. Wir waren doch ursprünglich gegen Subventionen. Warum greifen wir es nicht auf, wenn sich die Grünen lernfähig zeigen? Natürlich kann es dafür Gründe geben, sie waren jedoch nicht vernehmbar.
Das marktwirtschaftliche Profil litt nicht unter einer (vermeintlich linken, in Wahrheit liberalen) Gesellschaftspolitik, sondern an sozialdemokratischer Subventionspolitik. Gerade die marktwirtschaftliche Ausrichtung könnte ein Pluspunkt sein und sich harmonisch in die Modernisierung der FDP einfügen, nämlich dann, wenn sie konsequent an prozeduraler Fairness orientiert bliebe und sich gegen Lobbyismus und Subventionierung von Einzelinteressen wendete. Das wäre dann aber eine Marktwirtschaft ohne Tankrabatt und 9€-Ticket.
Liberaler Zusammenhalt
Wer politisch erfolgreich sein möchte, muss im Team gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten, sich gegenseitig unterstützen und im Zweifel auch gegenüber politischen Gegnern in Schutz nehmen.
Während die Grünen eisern die eigenen Leute verteidigen und ihnen bei Angriffen sofort zur Seite springen, ist bei uns viel zu wenig Unterstützung zu verspüren. Bei Hashtags wie #BuschmannsTote kam die Reaktion erst spät. Kampagnen wie die gegen Yvonne Gebauer wurden gar nicht wahrnehmbar gekontert. Man muss dafür auch nicht kritiklos hinter den Betroffenen stehen, aber doch klar machen, dass man als Team zusammenhält und die eigenen Vertreterinnen und Vertreter so gut es geht unterstützt und gegen Angriffe schützt. Man schaue sich etwa die Gegenkampagnen der Grünen in den sozialen Medien an, wo Leute wie Anne Spiegel immer noch Unterstützung erhielten, als längst erkennbar war, dass sie unhaltbar wurden.
Nicht wenige haben in letzter Zeit sogar ganz dezidiert Stimmung gegen die eigene Partei gemacht. Im Liberalismus ist das oft zu sehen, Liberale neigen mitunter zu scharfer Kritik, auch und gerade gegenüber dem eigenen Führungspersonal. Und auf Bundesebene wurden die Kernanliegen vieler Liberaler wie oben beschrieben mit Füßen getreten. Aber der Kampf gegen die eigene Partei hilft auch niemandem. Wir müssen auch in schwierigen Zeiten geschlossen bleiben und dazu gehört auch eine entsprechende Fairness im Umgang innerhalb der eigenen Reihen. Dass diese nicht immer gegeben ist, ist nicht erst durch Katja Sudings offene Schilderungen bekannt geworden. Auch das Umfeld der FDP fällt in den Sozialen Medien nicht immer angenehm auf. Wir müssen uns auf allen Ebenen dagegen zur Wehr setzen.
Wir sollten alle noch stärker daran arbeiten, Fairness zu garantieren und denen, die diese nicht erkennen lassen, die nötigen Grenzen aufzuzeigen. Vor allem aber müssen wir all unsere Mitstreiterinnen und Mitstreitern, die Angriffen ausgesetzt sind, unsere Solidarität spüren lassen und uns klar auf ihre Seite stellen.
Liberalität und Offenheit
Im Digitalministerium scheint eine Botschaft angekommen zu sein: Nach der NRW-Niederlage wurde endlich klar kommuniziert, dass der Minister gegen die Chatkontrolle ist. Das Justizministerium hatte ähnliches zuvor zumindest angedeutet. Klar mussten sich die Ministerien damit gegen ein anderes Ressort stellen – das SPD-geführte Innenministerium –, aber da dies aus ressortspezifischen Gründen geschah, ist es zweifelsfrei legitim. Aus Partei und Fraktion könnte nochmal deutlicher kommuniziert werden. Hier muss letztlich auch weniger Rücksicht genommen werden. Niemand verübelte es uns auszusprechen, was wir im Zweifel gerne anders machten, wenn wir könnten. Es geht – oft genug gesagt – darum, stärker das eigene Profil herauszustellen.
Manche fürchten nun den Wechsel zur Krawallpartei des Jahres 2013. Aber das ist ja keine Konsequenz aus der Forderung nach offener Aussprache der eigenen Positionen. Wahr ist: Wir sollten nicht anfangen, Negativkampagnen gegen politische Mitbewerber zu führen, schon gar nicht gegen unsere Koalitionspartner. Das ist nicht nur der Einsicht in die Kontraproduktivität solcher Kampagnen geschuldet, sondern wesentlicher Teil unseres politischen Erbes aus der Ära Walter Scheel. Wir sollten entsprechend konstruktive Vorschläge machen, inhaltlich für die Freiheit kämpfen und uns in der argumentativen Auseinandersetzung um gute Lösungen bemühen. Dazu gehört übrigens auch, keine juristischen Monologe zu halten und juristische Wege stets nur als ultima ratio zu betrachten. Freiheit vor Gerichten zu erzwingen, das mag ein letzter Ausweg sein. Aber letztlich muss es unser Anspruch sein, Freiheit politisch, durch Überzeugungsarbeit zur Durchsetzung zu verhelfen. Weder in der Wohnungs- noch in der Coronapolitik lassen sich politische Unterstützung und Akzeptanz vor Gerichten oder durch Monologe über das Verfassungsrecht erreichen. Es ist Kern von Liberalität, die politischen Überzeugungen Anderer nicht abzuwerten, weder moralisch noch intellektuell. Wir streiten in der Sache immer im Bewusstsein, dass unser Gegenüber die eigene Position mit demselben Recht und Gewicht vorträgt wie wir.
Oft wird in letzter Zeit Empathie gefordert. Als Wort finde ich "Empathie" schwierig, von einer liberalen Haltung oder von Liberalität zu sprechen wäre mir lieber. Aber wie auch immer das ausbuchstabiert wird, das Thema ist wichtig. Aus meiner Sicht findet sich hier übrigens ein klarer Pluspunkt für Joachim Stamp, insoweit er als Integrationsminister klare Haltung zeigte und sich für von Abschiebung bedrohte Menschen einsetzte und für eine liberale Einwanderungs- und Integrationspolitik stritt. Er zeigte, dass Liberalismus nahbar und menschlich sein kann, statt Härte zu betonen. Für uns als Aktive in der Partei heißt dies vor allem Zuhören und Respektieren, eigene programmatische Unsicherheiten offenlegen und Interesse für die Belange Anderer bekunden. Wir müssen öfter den Mut aufbringen, Probleme und Herausforderungen anzuerkennen und zu benennen, wo wir noch keine Lösungen haben.
Eines können wir uns auch für (aus unsere Sicht bessere Zeiten) merken: Liberale erfreuen sich nicht an den Niederlagen der Anderen, auch wenn sie sich von uns in ihren Inhalten noch so weit unterscheiden. Wir achten die alle politischen Mitbewerberinnen und Mitbewerber und blicken insbesondere mit Respekt auf die vielen Ehrenamtlichen aller Coleur. Fairness und Respekt, Wohlwollen in Bezug auf die selbstgewählten Lebenswege und Entscheidungen anderer, die Freude daran, dass und wie andere Menschen ihre Freiheit ausleben, muss weiter Grundlage unseres politischen Strebens sein. Neid und Missgunst haben im Liberalismus keinen Platz.